Die Berge, die mich riefen – eine Reise ins Herz des Himalaya

Ein Ruf aus der Höhe

Ich habe schon viele Gipfel gesehen. Seit 2018 begleitet mich das Höhenbergsteigen – mit all seinen Facetten zwischen Freude, Demut und Grenzerfahrung. Doch 2021, in einer Zeit, in der die Welt stillzustehen schien, hörte ich einen Ruf. Einen leisen, aber unüberhörbaren Ruf aus der Ferne. Er führte mich in jene Berge, die mich seither nicht mehr loslassen: in den Himalaya.

Ein leeres Tal - voller Begegnungen

Nach Monaten geschlossener Grenzen öffnete Nepal endlich wieder seine Tore. Nur wenig Reisende wagten damals den Weg ins Khumbu-Tal. Ich war eine von ihnen - ohne zu wissen, dass ich dort ein Stück meines Herzens lassen würde.

Schon der Flug von Kathmandu nach Lukla war ein Abenteuer für sich - ein Tanz zwischen Himmel und Hügeln, hinunter auf eine der berüchtigtsten Landebahnen der Welt. Von dort ging es über schmale Pfade, wackelige Hängebrücken und durch duftende Kiefernwälder bis nach Namche Bazar, das vibrierende Zentrum des Khumbu. Ein Ort wie Zermatt - nur mit mehr Gebetsfahnen, weniger Eile und einem Lächeln in jeder Begegnung.

Tänze im dünnen Licht

Ein Abstecher führte uns nach Thame, ein abgelegenes Dorf mit einem alten Kloster auf knapp 3.900 Metern. Die Höhe begann sich bemerkbar zu machen, doch während des Lichtfestes tanzten wir mit den Einheimischen - im schwachen Schein der Butterlampen, begleitet von Musik. Diese Begegnungen - ehrlich, herzlich, unvergesslich - gaben der Reise ihre Seele.

Als uns ein Mönch eine Puja, eine Segnung für Schutz und Gelingen, sprach, legte sich eine tiefe Ruhe über mich. Eine Stille, die blieb. Eine, die man nicht hört, sondern spürt.

Das Dorf der Sherpas

In Khumjung begegneten wir Purba Tashi Sherpa - eine Legende. Ein Mann, der über zwanzigmal auf dem Mount Everest stand und doch so bescheiden sprach, als sei der Gipfel nur ein weiterer Schritt im Leben. Zwischen flatternden Gebetsfahnen und klarer Bergluft sah ich sie dann zum ersten Mal: die Ama Dablam. Diese anmutige, fast perfekte Silhouette fesselte mich augenblicklich. “Die Mutter der Berge”, nennen sie die Sherpas - und ich verstand sofort warum. Obwohl unser Ziel der Island Peak (Imja Tse) war, wusste ich in diesem Moment: Ich werde zurückkehren.

Über Pässe, Gipfel und kleine Wunder

Der Weg führte uns weiter auf den Gokyo Ri, über den Cho-La-Pass und schliesslich nach Lobuche. Zwischen klaren Sternennächten, dampfenden Schüsseln Popcorn und dem rhythmischen Knirschen unserer Schritte sammelten wir Geschichten, die blieben. Am Kala Patthar stand ich ehrfürchtig vor Everest und Lhotse – so nah, dass man den Atem der Berge zur spüren glaubte. Diese Dimension, diese Stille, dieser Wind, der sang.

Am Rande der Welt – das Basecamp

Über den Kongma-La-Pass erreichten wir Chukung, den letzten Stützpunkt vor dem Island Peak Basecamp. Keine anderen Expeditionen weit und breit. Nur wir, der Wind und dieses Gefühl, am Rand der Welt zu stehen.

Mitten in der Nacht begann der Aufstieg. Erst über loses Geröll, dann über Gletscher und blankes Eis. Nur das Knirschen der Steigeisen und der gleichmässige Atmen im Takt der Höhe. Kurz vor Sonnenaufgang, an der 65 Grad steilen Eisflanke, brach das erste Licht durch. Die Sonne wärmte unsere Gesichter, während der Wind über den Grat peitschte. Jeder Schritt war Konzentration. Jeder Atemzug Bewusstsein.

Der Gipfelmoment

Und dann: der Gipfel des Island Peak, 6.189 Meter. Allein. Kein anderer Mensch weit und breit - nur wir und die Berge. Ich stand dort oben, erfüllt von Dankbarkeit und dieser stillen, tiefen Ruhe, die nur in den Bergen existiert.

Als mein Blick über das endlose Panorama schweifte, sah ich sie wieder - Ama Dablam. Elegant. Erhaben. Unvergesslich. Ein Teil von mir ist dort geblieben - zwischen Eis, Gebetsfahnen und Wind. Und genau dorthin werde ich zurückkehren. 2026.



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Mein erster 5000er - Expedition im Kaukasus